Anwesenheit ist nicht gleichbedeutend mit Eignung
BGH, 06.03.2025 – 3 StR 249/24
§ 185 Abs 1 S 1 GVG, § 338 Nr 5 StPO
Leitsätze
- Ein tatsächlich anwesender Dolmetscher kann nicht wegen möglicher Ungeeignetheit als „abwesend“ fingiert werden.
- Ablehnungsgründe gegen einen Dolmetscher führen nur bei entsprechender Antragstellung zur Unwirksamkeit, nicht automatisch zur Revision.
- Ein absoluter Revisionsgrund wegen Dolmetscherabwesenheit liegt nur bei echter physischer Abwesenheit vor.
Was ist passiert?
Ein niederländischer Angeklagter wurde vom Landgericht unter anderem wegen gewerbsmäßigen Diebstahls zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Da er kein Deutsch sprach, wurde ihm ein Dolmetscher beigeordnet. Am ersten Verhandlungstag wurde diese Aufgabe einer Rechtsanwältin übertragen, die zuvor Pflichtverteidigerin eines Mitangeklagten war. Für diesen einen Tag wechselte sie die Rolle, an den Folgetagen kehrte sie als Verteidigerin zurück. Gedolmetscht wurde dann von einer anderen Person.
Der Generalbundesanwalt sah hierin einen schwerwiegenden Verfahrensfehler: Die Anwältin hätte wegen eines Interessenkonflikts gar nicht als Dolmetscherin tätig werden dürfen. Ihre „Anwesenheit“ sei daher rechtlich unbeachtlich – was bedeute, dass die Hauptverhandlung in ihrer „Abwesenheit“ stattgefunden habe. Ein solcher Fall wäre ein absoluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 5 StPO).
Die Entscheidung des BGH
Der BGH verwarf diesen Ansatz. Zwar räume das Gesetz ein, dass Dolmetscher im Einzelfall abgelehnt werden können – aber dies müsse über das dafür vorgesehene Verfahren (§ 74 StPO i.V.m. § 191 GVG) erfolgen.
Eine automatische „Fiktion“ der Abwesenheit sei nicht vorgesehen. Wer körperlich an der Verhandlung teilnimmt und dolmetscht, ist aus Sicht des Revisionsrechts „anwesend“. Anders als bei gesetzlich ausgeschlossenen Richtern (§ 338 Nr. 2 StPO) sei bei Dolmetschern kein automatischer Ausschluss vorgesehen.
Auch ein Verstoß gegen das faire Verfahren liege nicht vor – der Angeklagte sei durchgängig gedolmetscht worden, konkrete Beeinträchtigungen seien nicht vorgetragen worden.
Bewertung
Die Entscheidung stellt klar: Formfehler in der Besetzung einer Verfahrensperson führen nicht automatisch zur Revision. Der BGH pocht auf das System der Ablehnung und betont, dass nur echte Abwesenheit den „scharfen“ Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründet.
Dies schützt die Rechtskraft vor inflationärer Revision – verlangt aber auch, dass Verteidigung und Angeklagte im Prozessverlauf aktiv werden, wenn Zweifel an der Eignung von Dolmetschern bestehen.
Die Klarstellung hat über den Einzelfall hinaus Signalwirkung: Auch bei Dolmetschern gilt – wer im Saal ist und dolmetscht, ist im Rechtssinn „anwesend“. Alles andere bleibt eine Frage der Zulässigkeit – nicht der Revisionsautomatik.
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Quellen
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