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600 Euro für 177 Quadratmeter: Sittenwidrig oder Schnäppchen?

BGH, 26.03.2025 – VII ZR 152/23

  1. Ein Mietvertrag ist nicht allein deshalb sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB, weil er besonders günstige Konditionen enthält.

  2. Eine Zurechnung von Kenntnis nach § 166 BGB setzt eine bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter voraus – bloßes Zusammenleben genügt nicht.

  3. Der Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens verlangt den Nachweis eines gezielten Zusammenhandelns zum Nachteil des Vertretenen – bloße grobfahrlässige Unkenntnis reicht nicht aus.

Was ist passiert?

Ein Paar lebt seit 2017 mit seinen Kindern in einer 177 Quadratmeter großen Wohnung in Berlin. Die alleinige Mieterin vereinbarte mit der vermietenden GmbH eine Kaltmiete von 600 Euro, brutto 1.010 Euro – bei Mietbeginn sogar ein mietfreies Jahr gegen Renovierung. Doch nachdem der Geschäftsführer der GmbH ausgetauscht wurde, forderte die neue Geschäftsführung die Räumung. Sie hielt den Vertrag für sittenwidrig und ging von einem Missbrauch der Vertretungsmacht aus – angeblich habe der frühere Geschäftsführer zum Nachteil der Gesellschaft mit dem Lebensgefährten der Mieterin kollusiv zusammengewirkt.

Das AG wies die Räumungsklage ab, das LG Berlin hob das Urteil auf – der Vertrag sei sittenwidrig und der Mieterin sei die fehlende Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers zuzurechnen. Dagegen wehrte sich das Paar mit Erfolg vor dem BGH.

Entscheidung des BGH

Der BGH hob das Urteil des LG Berlin auf. Zwar könne ein sittenwidriges Rechtsgeschäft nach § 138 BGB angenommen werden, wenn ein Geschäftsführer mit einem Dritten gezielt zum Nachteil der GmbH zusammenwirke. Dies müsse jedoch auch nachgewiesen sein. Das Landgericht habe die Voraussetzungen für eine solche Kollusion nicht ausreichend festgestellt.

Auch die Berufung auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei nicht tragfähig, wenn – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass die Mieterin oder ihr Partner Kenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht hatte. Eine Zurechnung über § 166 BGB scheide aus, da der Lebensgefährte nicht als Stellvertreter gehandelt habe und auch keine willentliche Einschaltung als Wissensvertreter festgestellt wurde.

Dass die Miete sehr günstig sei, genüge nicht für sich genommen: Es bedürfe weiterer Umstände, die auf ein bewusstes Mitwirken am Missbrauch oder auf erdrückende Indizien für dessen Erkennbarkeit hindeuteten.

Bewertung

Der BGH zeigt mit dieser Entscheidung klare Grenzen für die Annahme eines sittenwidrigen Mietvertrags auf. Günstige Mietkonditionen allein machen einen Vertrag nicht unwirksam – selbst wenn sie auffällig niedrig erscheinen. Für die Unwirksamkeit nach § 138 BGB oder einen Treueverstoß nach § 242 BGB bedarf es konkreter Anhaltspunkte für Kenntnis, Mitwirkung oder grobe Nachlässigkeit beim Vertragspartner. Der bloße Umstand, dass jemand „gut gewohnt“ ist, genügt nicht.

Der Fall erinnert daran, dass sich rechtliche Werturteile stets auf belastbare Feststellungen stützen müssen. Ob das Mietverhältnis letztlich wirksam bleibt, muss nun das Landgericht Berlin neu bewerten – diesmal mit dem klaren Hinweis aus Karlsruhe, sorgfältiger zwischen Sittenwidrigkeit, kollusivem Verhalten und einfacher Treuwidrigkeit zu differenzieren.

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Quellen

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=141216&pos=0&anz=1

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