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Verfassungswidrig oder verfassungstreu? – Malu Dreyer durfte sich AfD-kritisch äußern

VerfGH Koblenz, 02.04.2025 – VGH O 11/24

  1. Äußerungen eines Regierungsmitglieds, die in das Recht auf Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 17 Abs. 1 LV RP) eingreifen, sind zulässig, wenn sie dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dienen.

  2. Das staatliche Neutralitätsgebot gilt nicht schrankenlos gegenüber verfassungsfeindlichen Parteien. Regierungsmitglieder dürfen sich öffentlich mit deren Zielen und Verhalten auseinandersetzen.

  3. Eine Äußerung ist nur dann unzulässig, wenn sie unsachlich oder willkürlich erfolgt.

Was ist geschehen?

Die frühere Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), hatte im Jahr 2024 über das Internetportal der Landesregierung zu einer Demonstration unter dem Motto „Zeichen gegen Rechts – Kein Platz für Nazis“ aufgerufen. Parallel äußerte sie sich auf Instagram kritisch zu dem in AfD-Kreisen verwendeten Begriff der „Remigration“. Dort schrieb sie, dass es sich hierbei um ein Tarnwort für rassistisch motivierte Deportationspläne handele. Diese Aussagen veranlassten die AfD, Klage gegen Dreyer und die Landesregierung zu erheben – wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das staatliche Neutralitätsgebot.

Die Partei warf Dreyer vor, aus ihrem damaligen Regierungsamt heraus einseitig gegen eine nicht verbotene Partei agiert und damit den politischen Wettbewerb beeinflusst zu haben. In ihrer Mitteilung war gar die Rede davon, Dreyer habe mit „infamer Hetze“ gegen die AfD den „Boden der Demokratie“ verlassen.

Entscheidung des VerfGH

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz entschied nun, dass Dreyer mit ihren Aussagen zwar das Neutralitätsgebot verletzt und in die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen habe – doch dieser Eingriff sei gerechtfertigt gewesen.

Denn: Die Landesverfassung erlaubt es Verfassungsorganen ausdrücklich, sich schützend vor die demokratische Grundordnung zu stellen. Dies schließe eine kritische Auseinandersetzung mit Parteien ein, deren Aussagen oder Ziele verfassungsfeindlich erscheinen. Eine solche Schutzpflicht sei gerade Ausdruck der wehrhaften Demokratie.

Zentral für die Zulässigkeit der Äußerung sei jedoch, dass diese nicht willkürlich oder unsachlich sei. Das sei hier nicht der Fall gewesen: Dreyer stützte ihre Aussagen auf Tatsachen, etwa Reden von AfD-Mitgliedern im Bundestag sowie auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Zudem sei klar erkennbar gewesen, dass ihre Äußerungen dem Schutz der freiheitlichen Ordnung dienten – nicht der parteipolitischen Stimmungsmache.

Bewertung

Die Entscheidung des VGH Rheinland-Pfalz stärkt das politische Mandat von Regierungsmitgliedern im Einsatz für demokratische Grundwerte – gerade in Zeiten zunehmender Angriffe auf diese. Gleichzeitig bleibt das Neutralitätsgebot nicht bedeutungslos: Die Grenzen sind dort erreicht, wo staatliche Organe sachgrundlos oder polemisch gegen politische Parteien vorgehen.

Im Fall Dreyer wurde eine kritische Grenze zwar berührt, aber nicht überschritten. Ihre Worte waren klar, engagiert und politisch pointiert – aber nicht verfassungswidrig. Die Entscheidung ist ein Signal: In der Auseinandersetzung mit Verfassungsfeinden darf Klartext gesprochen werden, solange der Boden des Rechts gewahrt bleibt.

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BVerfG, 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20
 

Quellen

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vgh-o-11-24-afd-scheitert-mit-klage-vgh-aussagen-malu-dreyer-gerechtfertigt-neutralitaetsgebot
 
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/klage-afd-dreyer-neutralitaetsgebot-verfassungsgerichtshof-entscheidung-100.html

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