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Kein Diebstahl bei Krypto-Token: OLG Braunschweig zieht klare Grenze

OLG Braunschweig, 18.09.2024 – 1 Ws 185/24

§ 242 StGB; § 202a StGB; § 263a StGB; § 303a StGB

Leitsätze

  1. Kryptowährungen wie Bitcoin oder Token sind keine „Sachen“ im Sinne von § 242 StGB; ihr unbefugter Zugriff erfüllt daher nicht den Diebstahlstatbestand.
  2. Eine Strafbarkeit wegen Ausspähens von Daten (§ 202a StGB) scheidet aus, wenn der Täter die Zugangsdaten bereits kennt und diese lediglich bestimmungsgemäß verwendet.

  3. Weder § 263a StGB (Computerbetrug) noch § 303a StGB (Datenveränderung) greifen, wenn eine Token-Übertragung technisch regulär über die Blockchain erfolgt und keine normativ geschützten fremden Verfügungsrechte verletzt werden.

Was ist passiert?

Ein IT-Administrator erhielt im Rahmen eines Projekts Zugang zu den 24-Wort-Seedphrases der Wallet eines Bekannten. Nachdem diese Wallet mit sogenannten „A-Coins“ im Wert von rund 2,5 Millionen Euro gefüllt war, transferierte der Administrator die Token ohne Erlaubnis auf eigene Wallets.

Die Staatsanwaltschaft wertete dies als Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB) und Datenveränderung (§ 303a StGB) und beantragte zur Sicherung der Wertersatzeinziehung einen Arrest in Millionenhöhe.

Das LG Göttingen hob die Maßnahme auf – und das OLG Braunschweig bestätigte diese Entscheidung.

Entscheidung des OLG Braunschweig

Das OLG stellte zunächst klar, dass Kryptowährungen mangels Körperlichkeit nicht unter den Diebstahlstatbestand (§ 242 StGB) fallen. Auch ein Ausspähen von Daten scheide aus, da der Administrator die Seedphrase bereits rechtmäßig kannte und den Zugang nicht „überwunden“, sondern lediglich genutzt habe.

Beim Computerbetrug verneinte das Gericht eine täuschungsäquivalente Handlung: Die Blockchain prüfe keine Berechtigung im rechtlichen Sinn, sondern nur die kryptographische Verfügungsfähigkeit über einen Schlüssel. Eine Täuschungshandlung sei im technischen Ablauf nicht angelegt.

Schließlich sah das OLG auch in § 303a StGB keinen Straftatbestand erfüllt. Zwar führe die Transaktion zu einer Änderung der Blockchain-Daten, diese werde aber durch das Netzwerk selbst vorgenommen. Mangels Eingriffs in „fremde Datenverfügungsbefugnisse“ könne dem Täter keine unmittelbare Datenveränderung zugerechnet werden. Vertragsverletzungen und zivilrechtliche Unredlichkeiten seien nicht Aufgabe des Strafrechts.

Bewertung

Die Entscheidung ist dogmatisch konsequent, offenbart jedoch eine eklatante Schutzlücke: Technisch korrekt durchgeführte Token-Transfers können trotz fehlender Berechtigung straflos bleiben.

Für die Praxis bedeutet das: Ohne Reform des materiellen Strafrechts – etwa durch Schaffung eines eigenständigen Straftatbestands für unbefugte Kryptotransfers – bleibt Betroffenen nur der zivilrechtliche Weg.

Aus strafrechtlicher Sicht zeigt der Beschluss, wie schwer es ist, klassische Eigentumsschutz-Konzepte in die digitale Welt zu übertragen.

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Klausurrelevanz

Quellen

https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/fe688c7b-8dd0-4c79-a1f8-646aa9473b27

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