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Keine Haftfortdauer bei Verletzung des Beschleunigungsgebots

BVerfG, 05.02.2025 – 2 BvR 24/25 u.a.

Leitsätze

  1. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen gebietet eine straffe Verhandlungsplanung und eine hinreichende Terminsdichte, um unangemessene Verzögerungen zu vermeiden (Artt. 2 II 2 iVm 104 GG).

  2. Eine unzureichende Terminsdichte, die nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt ist, kann die Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich unzulässig machen.

  3. Die Gerichte sind verpflichtet, eine absehbare unzureichende Verhandlungsplanung kritisch zu prüfen und eine Kompensation von Verzögerungen aktiv zu überwachen.

Was ist passiert?

Die Beschwerdeführer befinden sich seit Juli 2023 in Untersuchungshaft wegen des dringenden Tatverdachts des versuchten Mordes in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung. Die Hauptverhandlung begann am 3. Mai 2024.

Nach einer anfänglich regelmäßigen Terminierung sank die Verhandlungsdichte ab September 2024 erheblich. Die Verteidigung beantragte daher am 16. Oktober 2024 die Aufhebung des Haftbefehls wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Das Landgericht lehnte den Antrag ab, und das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung am 11. Dezember 2024.

Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hob den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und stellte fest, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person verletze.

  • Mangelhafte Terminsdichte: Das Landgericht verhandelte durchschnittlich nur an 0,66 Tagen pro Woche. Dies liegt unter dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß.

  • Unzureichende Begründung des Oberlandesgerichts: Es wurden keine besonderen Umstände aufgezeigt, die eine derart geringe Verhandlungsfrequenz rechtfertigen könnten.

  • Fehlende Kompensation von Verzögerungen: Seit September 2024 wurden keine effektiven Maßnahmen ergriffen, um die Verfahrensverzögerung auszugleichen.

  • Terminschwierigkeiten der Verteidigung kein hinreichender Grund: Das Gericht hätte alternative Maßnahmen in Betracht ziehen müssen, um die Verfahrensverzögerung nicht allein zu Lasten der Beschwerdeführer gehen zu lassen.

Das Oberlandesgericht muss die Fortdauer der Untersuchungshaft nun erneut prüfen und dabei den Anforderungen des Beschleunigungsgebots Rechnung tragen.

Bewertung

Diese Entscheidung setzt ein klares Zeichen für eine strikte Beachtung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen. Verzögerungen müssen aktiv vermieden oder ausgeglichen werden. Die Verantwortung für eine zügige Verfahrensführung liegt nicht nur bei den Gerichten, sondern auch bei der Justizverwaltung insgesamt. In diesem Fall hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass selbst gewichtige Tatvorwürfe keine unbegrenzte Haftfortdauer rechtfertigen, wenn das Verfahren nicht mit der gebotenen Konsequenz geführt wird.

Klausurrelevanz

Quellen

Urteil

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/02/rk20250206_2bvr002425.html

Bild

https://www.pexels.com/de-de/foto/person-die-an-grauer-metallstange-festhalt-6065080/

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