„Unsere Kinder“ – wenn das Testament mehr meint, als man denkt
OLG Düsseldorf, 24.07.2025 – I-3 Wx 116/25
§ 2265 ff. BGB; § 2270 BGB; § 2361 S. 1 BGB
Leitsätze
Die Formulierung „unsere Kinder“ in einem gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff., 2270 BGB) kann auch Stiefkinder umfassen, wenn diese im gemeinsamen Haushalt der Eheleute aufgewachsen und wie eigene Kinder behandelt wurden.
Wechselbezügliche Verfügungen (§ 2270 BGB) binden den überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden; ein späteres Einzeltestament, das hiervon abweicht, ist insoweit unwirksam.
Ein Erbschein ist gemäß § 2361 S. 1 BGB einzuziehen, wenn er inhaltlich unrichtig ist und die tatsächliche Erbfolge nicht zutreffend wiedergibt.
Was ist passiert?
Ein Ehepaar mit zwei gemeinsamen Söhnen lebte über viele Jahre mit dem vorehelich geborenen Sohn der Ehefrau zusammen. 1997 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Als Schlusserben bestimmten sie „unsere Kinder“ und ergänzten Pflichtteils- sowie Wiederverheiratungsklauseln. Nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2020 verfasste der Ehemann 2022 ein Einzeltestament, in dem er ausschließlich seine beiden ehelichen Söhne als Erben einsetzte.
Nach seinem Tod im Jahr 2024 erhielten diese beiden Söhne einen Erbschein. Der Stiefsohn widersprach und beantragte die Einziehung, da er sich ebenfalls als Schlusserbe ansah. Das Amtsgericht gab ihm Recht und zog den Erbschein ein. Die Beschwerde der ehelichen Söhne blieb vor dem OLG Düsseldorf erfolglos.
Entscheidung des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf bestätigte die Einziehung des Erbscheins. Der Begriff „unsere Kinder“ sei auslegungsbedürftig. Maßgeblich sei der wirkliche Wille der Eheleute bei Testamentserrichtung (§ 133 BGB), nicht der rein wörtliche Sinn.
Das Gericht stellte fest, dass der Stiefsohn bis ins Erwachsenenalter im Familienhaushalt lebte und zunächst fast zehn Jahre lang das einzige Kind war. Diese enge familiäre Einbindung spreche stark dafür, dass auch er unter „unsere Kinder“ fallen sollte.
Die Wiederverheiratungsklausel im Testament stützte diese Auslegung: Sie teilte drei Viertel des Nachlasses an „die Kinder“ auf – rechnerisch plausibel nur bei drei bedachten Kindern. Auch gab es keinerlei Anhaltspunkte, dass die Ehefrau ihren Erstgeborenen von der Erbfolge ausschließen wollte.
Das spätere Einzeltestament des Ehemanns von 2022 war unwirksam, soweit es den Stiefsohn ausschloss. Die Schlusserbeneinsetzung aller drei Kinder sei wechselbezüglich (§ 2270 BGB) und somit nach dem Tod der Ehefrau bindend gewesen. Eine einseitige Abänderung war ausgeschlossen.
Bewertung
Das Urteil verdeutlicht, wie stark der tatsächliche Familienalltag und persönliche Bindungen die Auslegung letztwilliger Verfügungen prägen können. Wer im Testament unmissverständlich nur bestimmte Personen bedenken will, muss dies ausdrücklich formulieren.
Die Entscheidung stärkt den Schutz bindender Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten und macht klar: Vage Formulierungen wie „unsere Kinder“ können zu einem weiten Kreis von Erben führen – mit möglicherweise völlig anderen Ergebnissen, als vom überlebenden Ehegatten später gewünscht.
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Quellen
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/olg-duesseldorf-3wx11625-testament-erbe-stiefsohn-erbschein
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