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Rüge durch das BVerfG: Keine Auslieferung nach Ungarn

BVerfG, 24.01.2025 – 2 BvR 1103/24

Leitsätze

  1. Eine Auslieferung ist unzulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Haftbedingungen im ersuchenden Staat gegen Art. 4 GRCh verstoßen und keine ausreichenden Garantien für menschenwürdige Behandlung vorliegen.

  2. Die Fachgerichte sind verpflichtet, die tatsächlichen Haftbedingungen und mögliche Gefahren für die ausgelieferte Person umfassend aufzuklären und eine eigene Gefahrenprognose vorzunehmen.

  3. Eine bloße allgemeine Zusicherung der Behörden des ersuchenden Staates reicht nicht aus, wenn glaubhafte Berichte systemische Missstände oder eine besondere Gefährdung der betroffenen Person nahelegen.

Was ist passiert?

Die beschwerdeführende Person, die sich als non-binär identifiziert, wurde im Dezember 2023 in Berlin auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls festgenommen. Ungarn wirft ihr vor, im Februar 2023 an Übergriffen auf vermeintliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beantragte daraufhin die Auslieferung, die das Kammergericht am 27. Juni 2024 für zulässig erklärte.

Trotz eines Eilantrags beim BVerfG erfolgte die Übergabe am 28. Juni 2024 an die ungarischen Behörden. Erst nach der bereits erfolgten Überstellung untersagte das BVerfG um 10:50 Uhr die Auslieferung per einstweiliger Anordnung. Dennoch wurde die beschwerdeführende Person bereits um 10:00 Uhr von den österreichischen an die ungarischen Behörden übergeben.

Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und stellte fest, dass die Entscheidung des KG die Grundrechte der beschwerdeführenden Person verletzt.

  • Unzureichende Aufklärung der Haftbedingungen: Das Kammergericht hat sich auf eine allgemeine Zusicherung der ungarischen Behörden gestützt, ohne eine eigenständige Prüfung der tatsächlichen Haftbedingungen vorzunehmen. Berichte von Menschenrechtsorganisationen und eidesstattliche Erklärungen ehemaliger Häftlinge wurden nicht ausreichend gewürdigt.

  • Keine ausreichende Einzelfallprüfung: Die ungarischen Behörden machten keine konkrete Zusicherung für die individuellen Haftbedingungen der beschwerdeführenden Person. Die Gerichte hätten angesichts systemischer Missstände in ungarischen Justizvollzugsanstalten weitere Ermittlungen anstellen müssen.

  • Besondere Schutzbedürftigkeit: Aufgrund der Identifikation der Person als non-binär bestand ein erhöhtes Risiko von Übergriffen in der Haft. Das Kammergericht hätte spezifische Schutzmaßnahmen anfordern müssen, bevor es die Auslieferung genehmigt.

Bewertung

Das Urteil betont die hohe Verantwortung der deutschen Justiz bei Auslieferungen in Länder mit fragwürdigen Haftbedingungen. Allgemeine Zusicherungen reichen nicht aus, wenn glaubhafte Berichte systemische Missstände belegen. Besonders schutzbedürftige Personen müssen vor möglichen Menschenrechtsverletzungen geschützt werden. Dieses Urteil setzt ein klares Signal für eine strengere Kontrolle von Auslieferungen innerhalb der EU.

Klausurrelevanz

Quellen

Urteil:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/01/rk20250124_2bvr110324.html

Bild:

https://unsplash.com/de/fotos/menschen-in-orangefarbener-jacke-die-tagsuber-auf-der-strasse-stehen-ietPq3BukD0

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