BVerfG stoppt Zwangsräumung – Amtsgericht missachtet Grundrechte hochschwangerer Frau
BVerfG, 18.05.2025 – 2 BvQ 32/25
Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 765a Abs 1 S 1 ZPO, § 765a Abs 3 ZPO, § 885 Abs 1 S 1 ZPO
Leitsätze
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Bei der Entscheidung über Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO müssen Gerichte auch mittelbare Gesundheitsgefahren nach der Zwangsräumung einbeziehen.
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Ein Gericht darf sich nicht mit pauschalen Annahmen begnügen, sondern muss eine vertiefte Sachverhaltsaufklärung zur gesundheitlichen Situation vornehmen.
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Eine Schwangerschaft ist kein rechtlich zulässiges Argument zur Einschränkung staatlicher Schutzpflichten – insbesondere nicht gegenüber Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.
Was ist passiert?
In einer bayerischen Gemeinde sollte eine Familie mit mehreren Kindern, darunter eine hochschwangere Frau, ihre Wohnung verlassen. Nur vier Tage vor dem geplanten Kaiserschnitt war eine Zwangsräumung angesetzt. Die Kommune bot der Familie als Übergangslösung eine Notunterkunft in Wohncontainern an. Diese sei aber aus Sicht der Familie unzumutbar – es fehle an medizinischer Versorgung und hygienischen Mindeststandards.
Die Frau beantragte daher Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO beim Amtsgericht Schwabach, das den Antrag ablehnte. Die Schwangerschaft sei nicht hinreichend belegt, eine Unterbringung sei durch die Gemeinde vorgesehen, und angesichts der wirtschaftlichen Lage sei die erneute Schwangerschaft ohnehin als „fahrlässig“ zu bewerten. Die Familie rief das Bundesverfassungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an.
Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG gab dem Eilantrag statt und stoppte die Zwangsräumung vorläufig für maximal 6 Monate. Das Amtsgericht habe bei seiner Entscheidung gegen die Grundrechte der Antragstellerin verstoßen – insbesondere gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde).
Nach Auffassung des BVerfG hätte das Amtsgericht die gesundheitlichen Risiken der geplanten Maßnahme umfassend prüfen müssen. Es habe sich jedoch mit oberflächlichen Einschätzungen begnügt, ohne etwa den vorgelegten Krankenhausbericht hinreichend zu würdigen oder eigene Nachforschungen zur Schwangerschaft anzustellen. Stattdessen habe es der Frau einfach keinen Glauben geschenkt.
Das BVerfG betont: Der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO erfasst nicht nur unmittelbare Gefahren bei der Räumung selbst, sondern auch mittelbare Gefahren im Anschluss – etwa durch unzureichende Unterbringung. Eine gerichtliche Entscheidung, die diese Gefahren nicht einbezieht und nicht alle Umstände des Einzelfalls ermittelt, genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Zudem widerspricht das Gericht der Auffassung des AG Schwabach, die Antragstellerin könne sich wegen ihrer ökonomischen Lage nicht auf staatliche Schutzpflichten berufen. Eine Schwangerschaft sei niemals ein Grund, staatliche Fürsorgepflichten abzuschwächen. Vielmehr sei es Sache der öffentlichen Hand, eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten – gerade in vulnerablen Lebenslagen.
Bewertung
Der Beschluss des BVerfG ist ein mahnendes Beispiel für die Bedeutung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten im Zwangsvollstreckungsrecht. Besonders bei vulnerablen Gruppen wie Schwangeren muss der Staat alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten prüfen und nutzen, um Gefahren für Leben und Gesundheit abzuwenden.
Für Jurastudierende zeigt der Fall exemplarisch, wie § 765a ZPO als verfassungsrechtliches Korrektiv im Vollstreckungsverfahren wirkt. Das Urteil sensibilisiert für die Anforderungen an richterliche Sachverhaltsaufklärung und die Reichweite der staatlichen Schutzpflichten.
Dass ein Amtsgericht einer hochschwangeren Frau mit Verweis auf deren „fahrlässiges Verhalten“ elementare Rechte abspricht, offenbart zugleich, wie wichtig eine verfassungsrechtlich fundierte Argumentation in der täglichen Rechtspraxis ist.
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Klausurrelevanz
Quellen
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/05/qk20250518_2bvq003225.html
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