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Staatstrojaner auf dem Prüfstand: BVerfG stoppt Überwachung bei „kleiner Kriminalität“

BVerfG, 24.06.2025 – 1 BvR 2466/19

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 10 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 BVerfGG

Leitsätze

  1. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (§ 100a Abs. 1 StPO) stellt einen besonders schweren Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG dar und ist nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten mit hoher Strafandrohung verhältnismäßig.
  2. Eine Anwendung auf Delikte mit einer Höchststrafe von drei Jahren oder weniger überschreitet den zulässigen Eingriffsrahmen und ist insoweit verfassungswidrig (§ 100a Abs. 1 S. 3 StPO nichtig).
  3. Die Ermächtigung zur Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 1 StPO) genügt hinsichtlich Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, darf aber übergangsweise weiter angewendet werden.

Was ist passiert?

Seit 2017 dürfen Ermittlungsbehörden in Deutschland mit sogenannten Staatstrojanern verschlüsselte Kommunikation auslesen (Quellen-TKÜ) und mit Online-Durchsuchungen sämtliche Daten eines Geräts auswerten. Die Spähsoftware wird heimlich auf Computern oder Smartphones installiert. 

Zwei Verfassungsbeschwerden – bekannt als „Trojaner I“ und „Trojaner II“ – des Vereins Digitalcourage richteten sich zum einen gegen die präventiv-polizeilichen Befugnisse im Polizeigesetz NRW (§ 20c PolG NRW) und zum anderen gegen die strafprozessualen Regelungen in der StPO (§§ 100a, 100b StPO). 

Kritisiert wurde insbesondere die Reichweite der Eingriffsbefugnisse und ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten, insbesondere Art. 10 GG sowie dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Entscheidung des BVerfG

Der Erste Senat des BVerfG erklärte die präventiven Befugnisse des Polizeigesetzes NRW für verfassungsgemäß. Sie seien ausreichend auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter wie Leib, Leben oder die Sicherheit des Bundes beschränkt.

Anders beurteilten die Richterinnen und Richter die strafprozessualen Vorschriften: § 100a Abs. 1 StPO sei insoweit nichtig, als er die Quellen-TKÜ auch für Straftaten zulässt, die mit einer Höchstfreiheitsstrafe von drei Jahren oder weniger bedroht sind. Solche Delikte gehörten zum einfachen Kriminalitätsbereich und rechtfertigten den intensiven Eingriff nicht.

Die Regelung zur Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 1 StPO) verstoße, soweit sie auch in das Fernmeldegeheimnis eingreift, gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, da der Gesetzgeber das betroffene Grundrecht nicht ausdrücklich benannt habe. Die Vorschrift dürfe jedoch bis zu einer Neuregelung weiter angewendet werden.

Bewertung

Mit dieser Entscheidung zieht das BVerfG klare Grenzen für den Einsatz des Staatstrojaners. Während es den präventiven Einsatz im Polizeirecht akzeptiert, setzt es im Strafverfahren deutlich höhere Hürden: Nur bei besonders schwerer Kriminalität dürfen Ermittler in derart sensible Kommunikationsbereiche eingreifen. 

Das Urteil stärkt den Grundrechtsschutz und zwingt den Gesetzgeber, die StPO verfassungskonform nachzubessern – ein wichtiges Signal gegen eine schleichende Ausweitung digitaler Überwachungsbefugnisse.

Andere Urteile zum Thema

BVerfGE 120, 274 – Online-Durchsuchungen

Klausurrelevanz

Quellen

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-069.html

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